Inspiration für jüngere Generation
PRESSESTIMME
Anlass: Gedenken
Artikel in der: LKZ vom 03.03.2020
Freudental. Die Falle war zugeschnappt. Schon vor den November-Pogromen 1938 war für die entrechteten und verfolgten jüdischen Bürger kaum noch ein Herauskommen aus Nazi-Deutschland. Und nur kurz tat sich nach der „Reichspogromnacht“ ein Spalt auf zur Flucht: für 10.000 Kinder, via Großbritannien. Legendäre „Kindertransporte“, die Suse Underwood, geborene Schwarzwälder, im Alter von zwölf Jahren das Leben retteten. Das früh verwaiste Mädchen hatte bei Verwandtschaft in Heilbronn gelebt und viel Kontakt zu Verwandten in Freudental, zur Familie Herrmann, die gegenüber der heute als Bildungsstätte genutzten Synagoge einen Bauernhof besaßen.
Im Jahr 1951 kam Suse, wie sie bei der Gedenkveranstaltung allseits in vertraut-liebevoller Manier genannt wurde, erstmals zurück, entschied sich dann aber ganz für England: „Weil sie sah, dass es ihre Welt hier nicht mehr gab“, wie ihr Sohn Simon am Rande der Veranstaltung sagte. Später aber wurde sie zur eminenten Zeitzeugin, die auch öfters in Freudental weilte. Zu verdanken war dies nicht zuletzt einem Geschichtsprojekt des Christoph-Schrempf-Gymnasiums Besigheim. Ein Kontakt, aus dem eine „über 20-jährige Freundschaft“ mit Miriam Wittner erwuchs, wie die damalige Schülerin und heutige Lehrerin detailreich und dankbar berichtete. Dabei galt auch, was der Historiker Steffen Pross, der am Sonntag die teils bitteren, frühen Exiljahre skizzierte, nun unterstrich: „Wir wüssten so vieles nicht, wenn wir Suse nicht gehabt hätten.“ Ohne sie hätte die Geschichte der Freudentaler Juden nie so umfangreich erforscht werden können.
In besonderer Weise, rekonstruierend und assoziativ, hatte sich das Jugendprojekt „Fluchtperspektiven“ unter Leitung der FSJlerin Emma Schmid mit Underwood beschäftigt. Und dabei auch ganz nah an das aktuelle Flüchtlingsdrama an der türkisch-griechischen Grenze geführt. Ein Dutzend junger Leute wie Johanna Aymar, 16, aus Ingersheim. Sie hatte sich „auch wegen der jüngsten Gewalttaten“ beteiligt, die zeigten, „dass wir in Deutschland ein Problem mit Rassismus haben“. Für die Schülerin an den Ellentalgymnasien Bietigheim-Bissingen ist „das Schicksal von Suse beispielhaft dafür, was für schreckliche Folgen Rassismus und Antisemitismus haben können. Das beginnt im Kopf. Es ist unsere Pflicht, dagegen anzugehen“, betonte sie im Gespräch.
Nach fast zwei Stunden war es Zeit, hinaus in die Flur zu wechseln, um im „Garten der Erinnerung“ einen Apfelbaum zu pflanzen. Eine Geste „der Verbundenheit“, wie Bürgermeister Alexander Fleig sagte, der die Pflanzung mit Suses Sohn Simon und den Enkeln Beth und Jack vornahm. Für Jack, 35, war die Pflanzung „ein sehr schöner Moment, der zwei Teile ihres Erbes zusammenbringt: In England ruht sie im Schatten einer alten Eiche, und hier wächst jetzt ein Apfelbaum als Symbol für neues Leben und dafür, dass die Erinnerung weitergetragen wird.“ Mit dem Apfelbäumchen komme seine Mutter in gewisser Weise „zurück in ihre Heimat“, sagte Simon Underwood vor Ort, und das sei für ihn „a very special occasion“, ein sehr spezielles Ereignis. Beeindruckt zeigte er sich von der großen Zahl Anwesender. Menschen, „who really care about Suse“, denen Suse wirklich etwas bedeute. Denen auch wichtig sei, was sie repräsentiere. Er bedankte sich für die „Energie und Leidenschaft“, mit der in Freudental das Gedenken gepflegt werde.
Dabei hob er die beteiligten jungen Leute hervor, woran er auf dem Rückweg anknüpfte: Besonders berühre ihn, wie seine Mutter nun „junge Menschen inspiriert, sich mit der Geschichte zu befassen“. Diese Generation sei „mit so vielen dunklen und zerstörerischen Dingen konfrontiert, allein schon aus dem Internet. Trotzdem kümmern sie sich um diese Sache und geben dafür ein Wochenende ihrer Freizeit“. Das „Engagement und die Menschlichkeit, das klare, helle Denken“, das er hier erlebt habe, das sei für ihn selbst „eine Inspiration, ein Geschenk“. Und er wisse, dass sie das auch so sehen würde: „My Mum“. Ein Augenblick, in dem Suse Underwood so nahe schien, als würde sie nun ein paar Schritte mit zurückgehen durch die „Judengasse“ ihrer Kindertage, die heute Strombergstraße heißt. Noch so ein starker Moment in diesem charaktervollen Gedenken an Suse Underwood.
Autor: Georg Linsenmann
Foto: Holm Wolschendorf