KUNSTREISE NACH LONDON

Eigenverantwortliches Projekt von unserer Freiwilligen Ella Eichert

ENGLISH SUMMARY: Led by Ella Eichert and Michael Volz, a group of young people embarked on a five-day art trip to London. They explored various neighborhoods, parks, and streets, creating a „Travel Journal“ that combined art and content. Highlights included visits to the British Museum, Jewish Museum London, notable landmarks, the Tate Modern, and the Leake Street Arches graffiti gallery. The trip aimed to convey history creatively and leave lasting memories for the participants.

Zusammen mit zehn wundervollen Teilnehmerinnen und Teilnehmern konnten Michael Volz und Ella Eichert London in fünf Tagen erkunden und dabei von ganz unterschiedlichen Seiten kennen lernen: von kleinen Parks und Wohnhausreihen bis hin zu lebhaften Straßen Londons und dem Trubel einer Großstadt. Nicht nur London allein ist prägend, sondern vor allem ermöglichte das Programm der Reise unterschiedlichste Sichten auf die britische Hauptstadt, die man so meistens noch nicht gesehen hat.

An einem Tag blickt man in einem der höchsten Gebäuden Londons über die Riesenmetropole und zeichnet dabei einen Teil der Skyline Londons und am nächsten Tag ist man ganz dicht an der Geschichte der Juden in London. Auch die Verbindung von Glauben und Moderne in einer „jewish community“ wurde uns durch den Besuch in der Kingston Liberal Synagoge ermöglicht und hätte besser nicht laufen können, denn alle waren begeistert von der Offenheit und Herzlichkeit, mit der wir aufgenommen wurden.

Dabei begleitete uns jeweils immer das eigene „Travel Journal“ – ein individuell gestaltetes und mitwachsendes Reisetagebuch, das Zeuge der eigenen Erfahrungen und Erlebnisse der jeweiligen Person wurde und Kunst und Inhalt miteinander verknüpfte. Egal ob Flyer, Belege oder ausgedruckte Fotos, alles konnte benutzt werden, um die Seiten des Journals zu füllen.

Kreative Arbeit mit den Travel Journals

Mittwoch

Nachdem wir eine sehr lange, aber zum Glück problemlose Fahrt mit ersten Zeichenaufgaben hinter uns hatten, checkten wir erstmal im Angus Hotel direkt am St. Pancras International Bahnhof ein. Wir waren perfekt angebunden und konnten uns auch bei Bedarf zwischen den einzelnen Programmpunkten mal im Hotel ausruhen.

Die erste Aufgabe war, ohne technische Hilfsmittel zum British Museum zu finden und sich dabei mit einer Person aus der Gruppe zu unterhalten, die man noch nicht so gut kannte. Dabei konnte jedes Pärchen nochmal seine eigene „Orientierungsskills“ unter Beweis stellen und über den anderen mehr erfahren. Nachdem alle gut am vereinbarten Treffpunkt angekommen waren, haben wir uns über die hierbei entdeckten Unterschiede zwischen Deutschland und Großbritannien unterhalten. In der anschließenden Freizeit ging eine kleine Gruppe mit uns essen, andere erkundeten in Zweiergruppen das abendliche London oder entdeckten das berühmte Gleis 9¾ am Bahnhof King’s Cross.

Donnerstag

Nach einem „English Breakfast“ starteten wir in den ersten ganzen Tag mit dem Besuch im Jewish Museum London. Hier erhielt man einen wunderbaren Überblick, nicht nur über die verschiedenen Gegenstände, die im Judentum eine wichtige Rolle spielen wie zum Beispiel der Toraschrein, in dem die heiligen Schriftrollen aufbewahrt werden. Im Obergeschoss befanden sich viele verschiedene Informationen über die Geschichte jüdischen Lebens in London, angefangen von ca. 1275 bis hin zur Moderne. Die Ausgrenzung der Juden spielte leider auch hier durchgehend eine große Rolle.

So wurden Juden bereits 1275 dazu verpflichtet sich durch das Tragen einer „Tabula“ als Jude zu kennzeichnen und ihnen wurde der Verleih von Geld untersagt. Falsche Anschuldigungen führten zur Hinrichtung von mehr als 200 Juden im Jahre 1278. 1290 konfiszierte man das Eigentum jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürgern unter der Herrschaft Edward I.

Tora-Schrein und Tora-Kronen im Jüdischen Museum London

Jedoch gab es auch Lichtblicke in der Geschichte Englands in Bezug auf das Judentum. So wuchs im Jahre 1656 unter Oliver Cromwell eine neue „jewish community“ in London heran. Vor allem spanische und portugiesische Juden siedelten sich in der Großstadt an, später vergrößerte sich die Gemeinschaft mit der Einwanderung von Juden aus Deutschland und Polen. Auch nach der Verabschiedung von „the Jew Bill“ wurden Juden weiterhin unterdrückt, denn jeder, der nicht in der Kirche Englands war, musste im 16.  Jahrhundert mit öffentlicher Diskriminierung rechnen.

Die Verfolgung der Juden unter der Herrschaft der Nazis und die damit zusammenhängenden Kindertransporte von Deutschland nach England, mit denen es gelang ca. 10.000 Kinder zu retten, wurden anschaulich dargestellt. Gerade unter dem Thema „What would you pack?“ versuchte das Museum die Besucher selbst in die Fluchtthematik miteinzubeziehen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Gruppe sollten sich drei Gegenstände aussuchen und diese künstlerisch in ihrem Travel Journal festhalten.

Die freie Zeit nutzten einige zum Besuch des Camden Market mit seinen vielen Essensangeboten und Verkaufsständen.  Nachmittags ging es dann weiter mit dem Besuch im Sky Garden, dem höchsten öffentlich zugänglichen Garten Londons mit einer der besten Aussichten über die gesamte Stadt. Hier oben sollte ein Teil der Skyline Londons in den Zeichenbüchern festgehalten werden. Auch wenn das Gebäude ziemlich gut besucht war, konnte man einen Platz finden, an dem man in Ruhe arbeiten konnte.

Anschließend haben wir der Ruine „St. Dunstan in the East“ einen kurzen Besuch abgestattet, die nicht weit vom Sky Garden entfernt liegt, eingerahmt zwischen Wolkenkratzern. Die gotische Kirche brannte im Zuge des Great Fire im Jahre 1697 ab. Anschließend war Zeit, z.B. China Town mit seinen vielen bunten Farben und seinen imposanten Eingangstoren zu erkunden und in den individuellen Travel Journals weiter zu arbeiten, um die Einträge zu ergänzen.

Sky Garden in der 37. Etage mit heranziehendem Gewitter

Freitag

20 Maresfield Gardens war unser nächstes Ziel, denn unter dieser Adresse findet man das ehemalige Haus des österreichischen Arztes, Neurophysiologen und Tiefenpsychologen Sigmund Freuds. Auch er musste mit der zunehmenden Einflussnahme der Nazis aus Österreich fliehen, jedoch wurde es ihm durch Spenden ermöglicht, den Großteil seiner Einrichtungsgegenstände sicher nach England zu transportieren. Dadurch ist auch heute noch die Einrichtung des Hauses so originalgetreu wie möglich gestaltet und für Besucherinnen und Besucher zugänglich. Es wirkt fast, als würde man in eine Zeitkapsel hineinkommen.

Arbeitszimmer von Sigmund Freud mit vielen Antiquitäten

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhielten mithilfe eines Audioguides viele Informationen sowohl zur Person Sigmund Freuds als auch zur Familiengeschichte und suchten sich einen oder zwei Gegenstände, die das Interesse besonders weckten. In einem Gruppenraum tauschten wir uns über die verschiedenen Eindrücke und gesammelten Informationen aus und hielten das mithilfe eines Eintrages in das Reisetagebuch fest.

Nachdem alle etwas Freizeit hatten, versammelten wir uns an der Waterloo Station und trafen „underneath the clock“ Frank Wuggenig, ein Mitglied der Kingston Liberal Synagogue in Surbiton (KLS). Er nahm uns mit zum Gemeindehaus, einem ehemaligen Schulgebäude. Hier wurden wir sehr herzlich empfangen. Bei einer Führung durch das jüdische Gemeindezentrum und beim koscheren Abendessen kamen wir ins Gespräch. Dabei ging es nicht nur darum, wie man den jüdischen Glauben im Alltag integrieren kann sondern auch um allgemeine Themen wie Umwelt, Politik und welche Fächer man mag.  Zwei Highlights waren die Synagogenführung mit Rabbi René und unsere Teilnahme am gemeinsamen Schabbat-Gottesdienst. Nachdem wir uns mit einem selbstgemalten Granatapfel bei der Gemeinde für unseren Besuch bedankten, war es leider auch schon Zeit sich zu verabschieden. Wir freuen uns auf weitere Treffen, ob in Surbiton auf Einladung der KLS oder in Freudental auf Einladung des PKC!

Rabbi René erklärt die Tora vor dem gemeinsamen Schabbat-Gottesdienst.

Samstag

Nicht nur wir selbst kreierten Kunst in unserem Travel Journal, sondern betrachteten ganz unterschiedliche Kunstwerke beim Besuch in der Tate Modern am Samstagvormittag. Hierbei stand alles unter dem Motto „Ist das Kunst oder kann das weg?“, denn gerade in der Tate Modern findet man eine große Vielfalt an Kunstobjekten, von einem raumhohen Turm, bestehend aus verschiedenen Radios, die alle unterschiedliche Beiträge und Lieder zu selben Zeit abspielen bis hin zu einer Sammlung von unterschiedlichen Fundstücken aus der Themse, geordnet und gelagert in einem großen Holzschrank.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten die Aufgabe, gerade bei Kunstwerken, die man auf den ersten Blick vielleicht nicht als etwas Besonderes bezeichnen würde, genauer hinzuschauen und sich über das Kunstwerk und über den Künstler zu informieren. Anschließend berichtete man den anderen aus der Gruppe in einer gemeinsamen Gesprächsrunde, wie sich die eigene Wahrnehmung und Sicht in Bezug auf das Kunstwerk verändert oder vielleicht auch gefestigt hat.

Die Jugendlichen als Schattenfiguren in einer Kunst-Installation der Tate Gallery.

Nachdem wir die Eindrücke der Tate Modern in unserer Freizeit verarbeiteten, ging es am Kindertransport Memorial vor der Liverpool Station weiter, wo wir Simon, den Sohn von Suse Underwood trafen. Sie kannte Freudental von den Besuchen bei ihrer Tante und kam 1939 selbst mit einem Kindertransport von Deutschland nach England. Wir zeigten Simon einige bereits fertiggestellte Seiten unserer Travel Journals und berichteten von bisherigen Einrückungen und Erlebnissen.

Dann betrachteten wir sowohl das Kindertransport Memorial außerhalb der Liverpool Station als auch das innerhalb des Gebäudes und unterhielten uns über die verschiedenen Stilmittel der Figuren. So zeigt das äußere Memorial drei Kinder zusammen mit ihren Koffern. Diese scheinen mit einem hoffnungsvollen Blick auf ihre Zukunft in England zu schauen. Im Vergleich dazu wirken die Gesichtsausdrücke der beiden Kinderfiguren im Inneren des Bahnhofgebäudes nachdenklicher und auch etwas verängstigt. Die Kindertransporte, mit denen über 10.000 Kinder vor den Nationalsozialisten gerettet werden konnten, waren auch ein harter Schnitt im Leben dieser Kinder, denn viele von ihnen haben ihre Eltern nie mehr zu Gesicht bekommen.

Simon Underwood erhält ein von Ella Eichert gezeichnetes Bild seiner Mutter Suse vor dem Kindertransport Memorial.

Zusammen mit Simon ging ein Teil der Gruppe noch zum Prime Rose Hill, denn hier hat man einen tollen Blick auf die Skyline Londons und gleichzeitig gibt es genug Platz, um Frisbee zu spielen. Beim gemeinsamen Abendessen in einem griechischen Restaurant ganz in der Nähe des Parks konnten wir den Abend ausklingen lassen. Damit ging auch unser letzter voller Tag in London zu Ende.

Sonntag

Neben dem Check-Out und Packen stand als letzter Programpunkt der Besuch in den Leake Street Arches an. Hierbei handelt es sich um mehrere ehemalige Eisenbahntunnel, die heute legal als Graffiti-Gallery genutzt werden dürfen. Jeder darf also seine Kunst an die alten Wände des Tunnels bringen und auch wir haben uns hier mithilfe von selbstgemachten Suse Underwood Sprayvorlagen und in London gekauften Spraydosen temporär verewigt.

Vorbereitung für unsere Spray-Aktion

Eine Teilnehmerin schrieb: „Persönlicher über die NS-Zeit nachzudenken, versuchen, mich regelmäßig daran zu erinnern, nicht so gefühlskalt über die Zeit und die Opfer nachzudenken wie es oft in der Schule passiert, wenn nur über das „wie, wann, was und nie wieder“ gesprochen wird, aber alles konstant akademisch unpersönlich bearbeitet wird“. Genau darum geht es uns: Jungen Menschen Geschichte auf eine persönliche und kreative Art und Weise zu vermitteln.

Dann hieß es leider auch schon, Abschied von London zu nehmen, jedoch wird diese ganz besondere Kunstreise uns allen noch lange in Erinnerung bleiben!