TAG 2 DES KOMPAKTSEMINARS: DER SYNAGOGENDIENER ZEIGT UNS FREUDENTAL

SNEAK PEEK Die Szenerie vor dem Landgasthof Lamm in Freudental war magisch, als sich etwa 20 Personen versammelten und die Kirchenglocken in der Ferne läuteten. Plötzlich blitzte ein goldener Ring auf und die Hochzeitsgäste riefen im Chor „Masel Tov“, begleitet von dem Klirren eines zerbrechenden Glases. Aber was hat das mit dem zweiten Tag des Kompaktseminars zu tun und wer waren die glücklichen Frischvermählten? Tauchen Sie mit diesem Artikel in die Details ein und entdecken Sie alle aufregenden Hintergründe.

Am Morgen des 21. März 2023 kamen die Studierenden der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg zum zweiten Tag des Kompaktseminars in der „Schul“ zusammen. Michael Volz, der Leiter des PKC, blickte in müde Gesichter. Wie zu erwarten, begann der Tag mit einem „Wachmacher“. Wenn Sie den ersten Artikel gelesen haben, fällt Ihnen gewiss ein, wie Herr Volz die Studierenden wach bekam. Als die Studierenden dazu eingeladen wurden, ihre Jonglierfähigkeiten auszubauen, wurde aus der morgendlichen gedrückten Stimmung schnell eine entspannte und freundliche Atmosphäre. Während fast alle Studierenden zu Beginn Schwierigkeiten hatten, die Bälle in der Luft zu halten, wurden sie an Tag zwei immer besser und erzielten Fortschritte, die sie persönlich sehr erfreuten.

Das Programm konnte beginnen. Eine Art Ausstellung wurde durch verschiedene Fotografien der Ausstellung „Last Summer“ aufgebaut. Die gerahmten Schwarz-Weiß-Fotografien schufen eine intensive Atmosphäre und erweckten sofort das Interesse der Studierenden. Sie zeigten scharf geschossene Bilder von Menschen aus Freudental in den verschiedensten alltäglichen Situationen des Lebens – fröhlich sitzend in ihren Gärten oder schwitzend bei der Feldarbeit unter der Sommersonne. Es waren Menschen zu sehen, die Freude am Leben hatten und Freunde und Familie besaßen, die sie liebten und schätzten. Die Studierenden betrachteten die Bilder mit großer Aufmerksamkeit, als ob sie versuchten, jedes Detail in sich aufzunehmen. Herr Volz bat die Studierenden, sich ein Kunstwerk auszusuchen, das ihnen besonders ins Auge fiel, und es dann zu beschreiben.

Reihum wurden die Bilder anhand ihrer Darstellungen von den Geschichtsstudierenden eingeordnet. Herr Volz legte großen Wert darauf, dass sich die Studierenden immer wieder mit der Frage „Warum?“ auseinandersetzten. Durch das Hinterfragen von Zusammenhängen und Ursachen sollten sie ein tieferes Verständnis für das jeweilige Thema erlangen und auch das kritische Denken schärfen. So ermutigte er die angehenden Lehrer (w/m/d), nicht nur die oberflächlichen Fakten zu kennen, sondern auch deren Bedeutung zu hinterfragen. Dank der Betrachtung im Plenum wurde nicht nur die Vielfalt der Wahrnehmung verdeutlicht, sondern auch die Bedeutung der eigenen Perspektive. Herr Volz hatte eine Frage gestellt, die viele der Studierenden zunächst verunsicherte: „Sehen Sie einen Juden auf dem Bild?“. Doch die scheinbar simple Frage sollte einen tieferen Zweck erfüllen – nämlich die Vorurteile und Stereotypen aufzudecken, die viele von uns unbewusst in den Köpfen tragen. Durch die gezielte Frage wurden die Studierenden angeregt, ihre eigenen Annahmen und Vorstellungen zu überdenken und sich bewusst zu machen, dass Menschen nicht anhand von äußerlichen Merkmalen oder Vorurteilen beurteilt werden können und sollen. Eine wertvolle Lektion in Empathie und Toleranz, die Herr Volz den Lehramtsanwärtern (w/m/d) mit an die Hand gab und die hoffentlich ebenso im zukünftigen Unterricht an die Schüler (w/m/d) weitergegeben wird.

Gesetze und Verordnungen gegen Juden im Jahr 1933 – aus dem Flächenmahnmal im Bayerischen Viertel in Berlin

Stellen Sie sich vor, Sie werden aufgrund Ihrer religiösen Zugehörigkeit aus Ihrem Lieblingsmusikverein ausgeschlossen – eine schmerzhafte Erfahrung, die Sie vermutlich empört und verwirrt zurücklassen würde. Nun folgte ein deutlicher Bruch zu den glücklich wirkenden Fotografien des „Last Summer“. Die Studierenden zogen kleine Kärtchen, die jeweils ein Bild zeigten. Beispielweise ein einfaches T-Shirt. Doch auf der Rückseite dieser scheinbar harmlosen Bilder stand ein Text, der einen erschreckenden historischen Kontext offenbarte. Hier ein Beispiel: „Alle Juden, die älter als 6 Jahre sind, müssen den gelben Stern mit der Aufschrift ‚Jude‘ tragen. 01.09.1941“. Die Bilder sind bewusst neutral gehalten, doch ihre Bedeutung ist unmissverständlich und gnadenlos. Die Anweisung für die Studierenden lautete, die Jahreszahl auf ihrem Kärtchen in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen und sich dann entsprechend aufzustellen. Nach und nach wurden die zahlreichen Einschränkungen vorgelesen, die Juden im Laufe der Zeit erlitten hatten. Jeder Satz verdeutlichte, wie die Juden ab dem Jahr 1933 aus dem normalen Leben der deutschen Bevölkerung ausgeschlossen wurden. Die Methode hat die Gruppe sehr beeindruckt. Diese didaktische Methode, die sich auch im eigenen Unterricht umsetzen lässt, ermöglicht es den Schülern (w/m/d), aktiv am Lernprozess teilzunehmen und schafft ein Bewusstsein für das Gelernte.

Als der letzte Satz vorgelesen wurde, war es an der Zeit, tiefer in die Geschichte einzutauchen, und zwar mit einem Kurzvortrag über das jüdische Leben in Freudental im Jahr 1938. Dabei wurden auch die zuvor besprochenen Fotografien des „LAST SUMMER“ aufgegriffen, die den Alltag der jüdischen Gemeinde in Freudental zeigten. Herr Volz gab mit seinem scharfen Blick und seiner beeindruckenden Expertise den Zuhörern einzigartige Einblicke und zog Rückschlüsse aus den Bildern, die sonst möglicherweise unbemerkt geblieben wären.

Beim zweiten Vortrag wurde es ganz ruhig und ernst in der „Schul“. Das Thema war die Schändung der Freudentaler Synagoge am 10. November 1938. Im anschließenden Gespräch untereinander bemerkten wir, dass uns die Art und Weise des Vortrags besonders gefesselt hatte. So wurden beispielsweise lokale Zeitungsartikel aus dem Jahr 1938 vorgelesen, in denen der sich ständig verstärkende „Judenhass“ deutlich zum Ausdruck kam. Durch diskriminierende Wiederholungen wurden Juden, die mit nur etwa 3% der Bevölkerung eine kleine Minderheit darstellten, zum übermächtigen Feind gemacht.

Nach der Mittagspause wurde den Studierenden ein ganz besonderes Erlebnis geboten: ein Theaterspaziergang mit dem Titel „Der letzte Schammes“. Diesen Teil reiße ich in diesem Artikel bewusst nur kurz an, um „nicht zu spoilern“. Der Spaziergang, der an diesem Tag wohl den Höhepunkt des Programms bildete, wurde so noch nie zuvor durchgeführt und war daher etwas Besonderes. Die Idee dahinter war so kreativ wie einfach: Die Studierenden sollten Sigmund Lasar, einem 57-jährigen Synagogendiener, folgen und mit ihm den 16. April 1934 durch die Gassen von Freudental erleben. „Die Führung muss ich eigentlich noch auswendig lernen, allerdings bin ich damit noch nicht ganz fertig“, gab Michael Volz zu, der dennoch charmant und authentisch in die Rolle von Sigmund Lasar schlüpfte. Während des Spaziergangs erfuhren die Teilnehmer interessante Hintergrundgeschichten über jüdische und nicht-jüdische Nachbarn sowie die beginnende Ausgrenzung in der Nazizeit. Der Spaziergang ist eine einzigartige Gelegenheit, wild mit Himbeergeist anzustoßen (allerdings nur inszeniert), den Bund der Ehe einzugehen (ebenfalls nur inszeniert) und die Gräber von Sigmund Lasars Eltern auf dem jüdischen Friedhof zu besuchen.

Wenn Sie neugierig geworden sind, empfehlen wir Ihnen diesen außergewöhnlichen und kreativen Theaterspaziergang, der am 21. Mai 2023 im PKC-Programm steht.

Lorena Picone, Studentin an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg
Titelbild: Rudolf H. Boettcher