Kompaktseminar der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg

Der erste Kompaktseminartag: Ein bewegungsreicher Auftakt

Freudental – eine Momentaufnahme: Die Studierenden der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg sind im „Flow“. Sie jonglieren jeweils einen kleinen Ball von der einen Hand in die andere. Betritt man am Montagmorgen des 20. März 2023 den hellen und halligen Raum, scheinen Sonnenstrahlen durch die großen abgerundeten Fenster hindurch. Man würde kaum vermuten, dass man in einer ehemaligen Synagoge steht. Diese „Schul“, wie man auf Hebräisch sagt, befindet sich in der Strombergstraße im kleinen, aber geschichtsträchtigen Ort Freudental. Von außen ist sie eher unscheinbar, aber innen offenbart sich Herzlichkeit, Wärme, Wissen und der ein oder andere Schatz. Im Rahmen des Kompaktseminars „1723-2023: Jüdisches Leben und seine Spuren in Freudental“ besuchen 18 Studierende des Fachbereichs Geschichte der PH an vier Tagen in Folge das Pädagogisch-Kulturelle Centrum Ehemalige Synagoge Freudental (PKC) – einen Ort des Lehrens und Lernens.

Die Studierenden können nicht nur von den akrobatischen Talenten, sondern auch von der Fachkompetenz und der Expertise profitieren, die Michael Volz (Leiter für Pädagogik & Kultur) mitbringt. Sie fragen sich nun, was hat denn das Jonglieren mit einem Ort des Gedenkens zu tun? Das dachten sich die Studierenden anfangs sicherlich auch. Allerdings wurde nach einigen Fehlversuchen klar, wieso Herr Volz dieses Mittel zum Einstieg nutzte: Es war der pädagogische Aspekt. Aus seinen zwanzig Jahren Berufserfahrung gibt Herr Volz im Laufe des Tages immer wieder pädagogisch wertvolle Tipps für die angehenden LehrerInnen.

Nach dem sportlichen Auftakt folgt ein Kennenlernen in der Gruppe. Anders als in einer Schulklasse kommen die Studierenden aus verschiedenen Studiengängen mit verschiedenen Fächerkombinationen und die meisten kennen sich untereinander nicht. Herr Volz lenkt die Gespräche durch ganz unterschiedliche Fragen bei deren Beantwortung die Studierenden mehr über ihre Kommilitonen (w/m/d) erfahren, z.B. Wo fühle ich mich zu Hause auf einer imaginären Deutschlandkarte? Wo kommen meine Eltern und Großeltern her? Was weiß ich aus von der Vergangenheit meiner Familie aus der NS-Zeit?

Parallel zur Kaffeepause kann man die besondere Signatur „N“ (für Naziliteratur) auf dem Turm des PKC besuchen. „Die Werke werden nur unter Aufsicht angeschaut und verliehen“, so Herr Volz zur Bedeutsamkeit dieser Hinterlassenschaften aus der Nazi-Zeit.

Nazi-Literatur

Nach der kurzen Stärkung geht es für die Gruppe auf einen kleinen Spaziergang von ca. 10-15 Minuten. Diesmal nicht mit Jonglierbällen in der Hand, sondern mit einem sandfarbenen Steinchen. Die Studierenden laufen gemeinsam mit Herrn Volz zum jüdischen Friedhof. Während des Spaziergangs sollen sie sich in kleinen Gruppen überlegen, was mit einem solchen Stein alles gemacht werden kann. Angekommen, sprudeln die ersten Ideen aus den Lehramtsanwärtern (w/m/d) heraus: Der Stein „als Erinnerungselement, als Bauelement, als Schreibmittel“ um nur einige der Ideen zu nennen. In diesen Moment lässt Herr Volz die Gruppe das hebräische Wort „Chaim“, das auf Deutsch „Leben“ heißt, auf den Boden vor den Friedhof zeichnen. Dabei lernen die Studentinnen und Studenten, dass Hebräisch von rechts nach links geschrieben und gelesen wird.

Danach sind alle eingeladen (die Männer mit einer Kopfbedeckung), einen Grabstein auszusuchen und den mitgebrachten Stein darauf abzulegen. Dies ist ein übliches Zeichen des Respekts. Zurück im PKC, gibt es ein leckeres Mittagessen.

Ungläubige Gesichter

Der zweite Teil des Seminartages wird etwas theoretischer. Herr Volz hält einen ersten Vortrag zur Geschichte der Synagoge in Freudental, die 1770 im klassizistischen Stil errichtete wurde. Er betitelt sie als „Angeber-Synagoge“, da andere Landsynagogen im Vergleich dazu viel kleiner sind. Glücklicherweise geht es bei dem Vortrag nicht so zu wie während eines gemeinschaftlichen Gebetes in der „Schul“, denn im Gottesdienst darf auch reingerufen werden, soll der Vorbeter sogar verbessert werden.

Beim Bau der Synagoge vor mehr als 250 Jahren war fast die Hälfte der Einwohner in Freudental jüdisch. Heute hingegen leben keine Juden mehr in Freudental. Im November 1938 wird die Synagoge geschändet, demoliert und anschließend von der Hitlerjugend als Turnhalle und zum Fußballspielen genutzt. Nach dem Krieg war sie jahrzehntelang Lagerhaus einer Schlosserei und sollte Ende der 70er Jahre abgerissen werden. Da jedoch schlossen sich Bürger (w/m/d) aus der Umgebung zu einem Verein zusammen und forderten den Erhalt der ehemaligen Synagoge. Dank dieser Menschen und deren Einsatz können wir heute hier sitzen und diesen Ort des Erinnerns und Lernens als einen außerschulischen Lernort erleben.

Wie besonders der Raum der ehemaligen Synagoge ist, wird den Studierenden der PH nach einer kleinen Führung auf die Frauenempore bewusst. Bei der Renovierung der Synagoge wurden auf dem Dachboden unterschiedliche Hinterlassenschaften gefunden, die die gewollte Zerstörung überlebt hatten. Bücher, Schriftstücke und z.B. Gebetsschals werden in der „Genisa“ aufbewahrt (Hebräisch für „Aufbewahrungsort“) und die schönsten davon sind hier ausgestellt. Aktuell soll die Genisa-Ausstellung mithilfe der Ideen von Schülern (w/m/d) eines Seminarkurses der Max-Eyth-Schule Stuttgart umgestaltet werden.

Der zweite Vortrag am Nachmittag behandelt die Genisa-Funde und vor allem deren religiöse Bedeutung noch einmal im Detail. Unverständnis ruft bei den Studierenden die Ankündigung hervor, dass die Frau während und fünf Tage nach ihrer Menstruation als „unrein“ gilt. Herr Volz blickt in ungläubige Gesichter. Orthodoxe Männer und Frauen dürfen während dieser Zeit keine Berührungen austauschen. Sobald ein Mann eine Frau berührt, die „nidda“ (unrein) ist, gilt er als ebenfalls unrein. Die Frau muss deshalb in der „Mikwe“ ganz untertauchen, um wieder als rein zu gelten. Nach einer kleinen Pause mit Kaffee und Kuchen ist der Kulturschock überwunden und es geht schon in die letzte Phase des ersten Tages.

Erneut spaziert die Gruppe bis zum jüdischen Friedhof. Auch wenn dieser nicht ganz nahe liegt, ist er doch ein wichtiger Bestandteil der Führungen. Der Tag endet mit einem noch immer sehr präsenten Thema, dem Antisemitismus. Herr Volz zeigt Bilder aus dem Jahr 2007, als der jüdische Friedhof geschändet wurde. Die Studierenden sind davon sichtlich aufgewühlt und es kommt eine Debatte darüber auf, wie es nach heutigem Wissenstand noch immer sein kann, dass Parolen wie „Auschwitzlügner“ an die Außenmauer eines jüdischen Friedhofs gesprüht werden können. Herr Volz empfiehlt, auf solche und ähnliche Schändungen in der Schule mit großer Strenge zu reagieren. An dieser schwierigen Situation sieht man, dass das Lehren und das lebenslange Lernen auch für die zukünftigen Lehrer (w/m/d) ein stetes Auf und Ab sein wird – genauso wie das Jonglieren…

Die bereits eingangs erwähnte Übung wurde gewiss nicht nur zur Förderung der körperlichen Fitness am Morgen praktiziert. Beim Prozess des Erlernens macht jeder Studierende (w/m/d) individuelle Erfahrungen des Gelingens und des Scheiterns. Es ist eine spielerische Art der Selbsterfahrung, mit Problemen umzugehen und diese für sich zu lösen.

Lorena Picone, Studentin an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg