Stiftungsfest 2022

Das diesjährige Stiftungsfest des PKC fand in der Freudentaler Schönenberghalle statt, um die 150 Gäste mit gutem Abstand versammeln zu können. Nach der musikalischen Einstimmung durch die Jazz-Combo der Musikschule Besigheim begrüßte der erste Vorsitzende BM Albrecht Dautel die Festgäste, darunter etliche Politikerinnen und Politiker, den Ehrengast Dr. Rainer Haas und die Stiftungsrednerin Prof. Dr. Miriam Rürup. Herzlich bedankte er sich bei der Geschäftsleitung des PKC, Isolde Kufner und Michael Volz zusammen mit dem PKC-Team und vielen weiteren ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, für die gute Vorbereitung und Organisation dieses Stiftungsfests unter den aktuellen Bedingungen.

THIS YEAR’S CELEBRATION OF THE FOUNDATION OF THE PKC took place in the Freudentaler Schönenberghalle in order to gather the 150 guests in a Corona conform distance. After the musical tuning by the jazz combo of the music school Besigheim, the first chairman of the board mayor Albrecht Dautel welcomed the guests, including several politicians and the foundation speaker Prof. Dr. Miriam Rürup. Mrs. Rürup opened a huge historical horizon to explain the open questions around the commemoration of „1700 years of Jewish Life in Germany“. Later, the chairman of „Landkreis Ludwigsburg“ Dietmar Allgaier gave the medal of honor to the former chairman Dr. Rainer Haas who had been in the PKC board for 20 years. After the ceremony, most of the participants followed the invitation to come together in front of the PKC around fire pits and with hot drinks.

In ihrem beeindruckenden Vortrag „1701 Jahre jüdisches Leben in Deutschland – Fragen zu einem denkwürdigen Festjahr“ zeigte die Direktorin des Moses-Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien in Potsdam auf, dass man in dem kleinen Flecken Freudental eigentlich europäische und internationale Geschichte ablesen kann, ja dass Lokalkolorit und „große“ Geschichte hier gleichermaßen fassbar sind. Mit dem Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ wollten die Organisatoren die Zugehörigkeit der Juden zur deutschen Gesellschaft thematisieren, gleichzeitig müsse der Blick jedoch immer auch auf das „Hinausgeworfensein“ gerichtet werden. Vor diesem Hintergrund hat Freudental eine erstaunlich lange kontinuierliche jüdische Geschichte und dazu gehört mit dem Bauernhof von Moritz Herrmann auch ein Ort der Hachschara. Die berufliche Vorbereitung war sowohl für die Auswanderung in das Land Israel wichtig, in dem Landwirtschaft in den Kibbuzim die Grundlage für das Überleben der zionistischen Einwanderergenerationen bildete,  als auch für die Emigration in die südamerikanischen Länder, in die man als Jude nicht ohne den Nachweis einer landwirtschaftlichen Vorbildung einwandern durfte.

Frau Rürup stellte Frage, ob die Feierlichkeiten zu „1700 Jahren“ eine deutsch-jüdische Symbiose beweisen sollten? Dafür analysierte die Rednerin die neun Motive der postalischen Ersttagsstempel im Jahr 2021, unter denen neben dem Codex Theodosianus, der Menora, der Chanukkia, der neuen Mainzer Synagoge und der Relativitätstheorie von Albert Einstein mit Hannah Arendt, Moses Mendelssohn und Kurt Weill drei „Spitzenjuden“ zu sehen sind. Der Versuch, somit eine deutsche „Beitragsgeschichte“ weiterzuschreiben, also die übergroßen Verdienste von besonders gebildeten oder künstlerisch begabten jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern hervorzuheben, sollte jedoch ihrer Meinung nach langsam beiseitegelegt werden, um alle Jüdinnen und Juden als gleichwertig, als „wertig genug“ für das Leben in Deutschland zu betrachten.

Deutsch-jüdische Geschichte und Kultur im Allgemeinen können nur jenseits eines verengten nationalen Blicks erzählt und aus europäischer Sichtweise verstanden werden. In einem raschen historischen Durchgang nannte die Referentin dafür folgende Beispiele:

  • Seit 1700 Jahren liegt mit dem Codex Theodosianus ein Vertrag aus dem Jahr 321 vor, dass Juden auch im Magistrat der Stadt Köln politisch tätig werden durften.
  • Während der Kreuzzugszeit wurden die Juden aus der SCHUM-Region vertrieben, aber ihre Sprache – das Jiddische – hat sich trotzdem erhalten bis in die Neuzeit und ist aus Polen wieder nach Deutschland zurückgekommen.
  • Die Vertreibung der Juden aus Spanien ab dem Ende des 15. Jahrhunderts führte zu neuer Blüte des Handels in den großen Städten Mitteleuropas.
  • Die Juden wurden erstmals in der sogenannten „Franzosenzeit“, als Napoleon Südwestdeutschland besetzt hatte, als Staatsbürger behandelt.  
  • Aus der Affäre Dreyfus entstand bei Theodor Herzl die Dringlichkeit, seine Theorie des politischen Zionismus auszuarbeiten.
  • Die Displaced Persons, die durch Krieg und Verfolgung heimatlos gewordenen Juden, haben die jüdischen Gemeinden in Deutschland (und auch in Stuttgart) nach der Shoah wieder neu gegründet – Gemeinden, die durch den Zuzug aus Osteuropa nach der Wende in den 90er Jahren vor ihrem drohenden Niedergang wegen Überalterung bewahrt wurden.
  • Und heute gibt es viele Israelis, die sich bewusst Deutschland als ihren Lebensmittelpunkt auswählen.

Was fehlte nun bei den „1700“er Feierlichkeiten? Es fehlte die „Umarmung“ der jüdischen Kultur und das Wahrnehmen des säkularen jüdischen Selbstverständnisses, welche man z.B. bei den Makkabiaden (den jüdischen Sportfestspielen) oder bei der Jewrovision (den jüdischen Musikfestspielen), aber auch beim Klezmerfestival in Krakau oder bei der weit entwickelten internationalen akademischen Vernetzung erfahren kann – wegen der Vertreibung aus Deutschland wurden nämlich aus deutschen Forschungszentren europäische…

Die Verantwortung für die deutsch-jüdische Geschichte liegt nun bei uns, den Nichtjuden. Wir Nichtjuden, die wir uns erinnern, bewusst diese Geschichte annehmen und der Mehrheitsgesellschaft vermitteln, sind die Erben! Darin liegt die Verantwortung und die Chance der pädagogischen Arbeit des PKC, wo die Alltagsgeschichte vor Ort erzählt und damit Betrachtungen jenseits der großen Linien angestellt werden können. So verbindet das PKC schwierige und kritische Fragen mit den aktuellen Herausforderungen, auch in Bezug auf Verschwörungsfragen, und weist mit seinem Engagement in die Zukunft. Dabei sollten wir uns hüten vor der allzu einfachen Gleichung, dass das Jüdische immer (nur) mit der Synagoge und der Religion zu tun hat. Die richtige „Umarmung“ der jüdischen Geschichte ist jedoch richtig, wichtig und angemessen: Es ist Zeit für Experimente und Vielfalt!

Einer derjenigen, die das immer gesehen, gefordert und auch qua Amt gefördert haben, ist der emeritierte Landrat Dr. Rainer Haas, dem während des Stiftungsfestes die Ehrenmitgliedschaft des Vereins verliehen wurde. In seiner Laudatio hob Landrat Dietmar Allgaier die Verdienste von Herrn Dr. Haas für den Fortbestand und die Weiterentwicklung der Gedenkstätte und Jugendbildungsakademie hervor. In Haas‘ 24jährige Amtszeit fielen auch die Planung und Realisierung des Neubaus. Allerdings, und das betonte auch der Geehrte in seiner kurzen Dankesrede, waren die Beziehungen nach Israel und zum damaligen Chairman des Oberen Galiläa Aharon Valency besonders prägend. Auf die beim ersten Kennenlernen ausgesprochene Einladung „Come and see“ konnte eine großartige Partnerschaft aufgebaut werden, in die das PKC stets eingebunden war.

Nach einem schwungvollen Ausklang von der Jazz-Combo folgte trotz einsetzender Dunkelheit und andauernder Kälte gut die Hälfte der Festgäste der Einladung, an den Feuerschalen im Hof vor der Synagoge bei heißen Getränken und Häppchen zusammenzukommen und das Fest ausklingen zu lassen.  

Auf dem folgenden Bild sehen Sie die anwesenden Mitglieder des Vorstands sowie die Geschäftsleitung des PKC gemeinsam mit der Stiftungsrednerin und dem neuen Ehrenmitglied, von links nach rechts: Judith Raupp, Bürgermeister Albrecht Dautel, Isolde Kufner,
Prof. Dr. Miriam Rürup, Michael Volz, Landrat a.D. Dr. Rainer Haas, Timo Scheer,
Landrat Dietmar Allgaier.

Hier finden Sie die Zeitungsartikel „Es braucht das PKC mehr denn je“ aus der Ludwigsburger Kreiszeitung und „Rainer Haas: Wir brauchen das PKC mehr denn je“ aus der Bietigheimer Zeitung, jeweils vom 17. Januar 2022.