Tagesexkursion in die SchUM-Stadt Mainz

Mit dem PKC zum UNESCO Welterbe – hier ist der Reisebericht!

Nach einem sehr frühen Start und einer angenehmen Reise erreichten wir Mainz, die Muttergemeinde des sogenannten SchUM-Verbunds, dem auch die bereits 2019 von uns besuchten Städte Worms und Speyer angehörten. Die Bezeichnung SchUM setzt sich zusammen aus den Anfangsbuchstaben der drei hebräischen Städtenamen: Schpira, Warmaisa und Magenza. Auf der Fahrt im Bus hörte die Gruppe einige launige jiddische Anekdoten und die Kurzgeschichte vom „jüdischen Papst“ (Elchanan, Sohn des großen Rabbiners Schimon aus Mainz), vorgetragen von Rudolf Guckelsberger.

Andreas Berg und Katrin Bug begrüßten die Gruppe vor der Synagoge.

Vor und in der Mainzer Synagoge „Gershom Bar Jehuda“ bekamen wir eine kenntnisreiche Führung durch Herrn Andreas Berg, der früher Redakteur beim SWR war. Auf der großen Eingangstür steht in hebräischer Sprache „Meor Hagola, Beth Knesseth Magenza“, das heißt übersetzt „Leuchte des Exils, Haus der Versammlung Mainz“. Mit dieser Erleuchtung der Diaspora ist eben der berühmte Rabbiner Gershom gemeint, der hier eine Rabbinersynode einberief. In Mainz wurde um die Jahrtausendwende beschlossen, dass im Judentum die Monogamie und ein modernes Scheidungsrecht eingeführt werden (bei welchem die Frauen den von ihnen erwirtschafteten Besitz behalten durften). Weiterhin wurde von den Juden und Jüdinnen, welche ja lesen und schreiben konnten, das Briefgeheimnis eingeführt.

Meor Hagola – Leuchte des Exils

Die Synagoge nach den Plänen des Kölner Architekten Manuel Herz wurde 2014 sowohl im Zeit- als auch im Kostenrahmen fertiggestellt. Die Architektur ist geprägt von interessanten Ein-, Durch- und Ausblicken, die die unterschiedlichen Räume abwechslungsreich miteinander verbinden.

Die spannende Architektur des Gemeindezentrums von Manuel Herz

Die fünf hebräischen Buchstaben des Wortes „Kedushah“ (Heiligung) geben dem modernen Bau eine besondere Form und Gliederung. Das Kof symbolisiert ein Schofar, welches in die Stadt Mainz hineinschallen soll. Von außen ist die Stahlbetonkonstruktion mit 18.000 gebrannten Kacheln belegt, die auf Gehrung gesägt sind und in einem changierenden grünen Farbton erstrahlen, Sinnbild der Lebendigkeit des Judentums!

Das Kof (rechts) steht für das Schofar, das in die Stadt ruft.
Leider muss auch diese Synagoge von der Polizei bewacht werden.

Mainz ist eine der ältesten jüdischen Gemeinden in Europa. Im Mittelalter war die Stadt Zentrum jüdischer Lehre und Religion, auch durch die Kalonymiden (s.u.) – allerdings nur bis zu den Kreuzzügen im Jahr 1095, als eine Blutspur durch Europa gezogen wurde. Die Mainzer Gemeinde mit über 1000 Menschen wurde ausgelöscht… Davon haben sich diese und die anderen Stadtgemeinden nicht mehr erholt und bis zum 18. Jahrhundert haben die meisten Jüdinnen und Juden in kleinen Landgemeinden gelebt.

Die erst 1912 an dieser Stelle errichtete Mainzer Hauptsynagoge wurde in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 geplündert und in Brand gesetzt – von ihr zeugen jetzt nur noch Fragmente der Säulenhalle auf dem Synagogenvorplatz. Mehr als 70 Jahre nach ihrer Zerstörung durch die Nationalsozialisten erhielt die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt 2010 mit der neuen Synagoge wieder ein sichtbares Zeichen für ein neues, lebendiges Judentum.

Andreas Berg vor dem geöffneten Mainzer Toraschrein

Nach einer kurzen Busfahrt führte uns Prof. Dr. Andreas Lehnardt von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz über den ältesten jüdischen Friedhof Europas, den „Judensand von Mainz“. Der Friedhof wurde leider mehrfach zerstört, sodass man bei Bauarbeiten immer wieder Steine (weit) jenseits seiner heutigen Grenzen aufgefunden hat. In Mainz hat man jüdische Grabsteine zweckentfremdet für Hafen- und Festungsbau, aber auch für den privaten Hausbau.

Die Gruppe lauscht konzentriert den Ausführungen von Prof. Lehnardt.
Teils zerstörte Grabsteine auf dem jüngeren Teil des Judensands

Im jüngeren Teil, der früher außerhalb der Stadt und entlang der Römerstraße lag, findet man heute nur noch Grabsteine aus der Zeit von 1700 bis 1880. Wir besuchten weiterhin die Grabsteine von Rabbiner Gershom Bar Jehuda sowie diejenigen berühmter Kalonymiden (Kalonymos bedeutet „Schem tov“, also „guter Name“). Hier lagen viele Bittzettel und es gab eigene Behältnisse für Seelenlichter, denn fromme Juden hoffen, dass diese Fürsprecher ihnen bei persönlichen Problemen auch helfen können.

Am Grab von Gershom bar Jehuda liegen etliche Bittzettel.

Die Grabsteine sind nicht alle nach Jerusalem ausgerichtet, sondern oft an anderen als den Ursprungsorten wieder aufgestellt worden und führen in einem Slalom-Parcours bergauf. Man spricht also besser von einem „Denkmalfriedhof“. Insgesamt befinden sich auf dem Judensand etwa 1500 Grabsteine; heute ist dieser Friedhof das letzte verbliebene Monument, welches von der Blütezeit der jüdischen Gemeinde in Mainz zeugt. Der Talmud sagt übrigens, dass im Tod alle gleich sind, deshalb sind auch auf den jüdischen Friedhöfen Männer und Frauen gleichberechtigt, was zum Beispiel die Größe der Grabsteine oder deren Schmuck angeht.

Rudolf Guckelsberger trägt „Rabbi Amrams Begräbnis“ vor: Der Wunderrabbi wurde nach seinem Tod in Köln in ein Schiff gelegt, dieses fuhr von ganz alleine rheinaufwärts und in Mainz wurde er dann unter einigermaßen erstaunlichen Umständen auf dem jüdischen Friedhof beerdigt.
Rast auf historischen Säulen am Rande des Judensands

Nach einem zünftigen Mittagessen mit Mainzer Spezialitäten spazierte die Gruppe weiter zur katholischen Kirche St. Stephan. Die älteste gotische Hallenkirche am Mittelrhein wurde um 1340 fertiggestellt, aber im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt.

Nordportal von St. Stephan in Mainz

Unser Ziel waren natürlich insbesondere die Glasfenster des weltberühmten Künstlers Marc Chagall, die mit ihrer außergewöhnliche Farbigkeit die ganze große Kirche erfüllen. Alle Fenster haben die blauen Grundtöne gemeinsam, die das Geheimnis des unsichtbaren Gottes andeuten. Marc Chagall wünschte sich dafür insgesamt 18 unterschiedliche Blautöne…

Blick in den Hochchor von St. Stephan zu Mainz
Der Beter (unten links): „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg.“ (Ps 119, 105) – Oben ist König David mit seiner Harfe zu sehen.
Alle Fotos der Chagall-Fenster stammen von Herbert Pötzsch.
Unten ist die Schöpfung zu sehen, oberhalb der Mitte steht König David
mit seiner Harfe und darüber ist der gekreuzigte Jesus
als leidender Jude dargestellt (sein Lendentuch ist ein Tallith).

Siegfried Kirsch vom Kirchengemeinderat erläuterte einige besondere Details wie z.B. die Paradiesszene mit Adam und Eva. Diese sind als Zeichen ihrer gleichen Würde gleich groß gestaltet (dazu s.u. den Textauszug aus Genesis 2).

Detail „Adam und Eva“ im Garten Eden

Angeregt vom früheren Pfarrer von St. Stephan Monsignore Klaus Mayer werden mit dieser Kunst bedeutende Akzente für deutsch-französische Versöhnung sowie für die jüdisch-christliche Verbundenheit gesetzt. Die Fenster entstanden von 1976 bis 1985 und sind Marc Chagalls größtes Glaskunstwerk. Dabei stand er selbst im biblischen Alter von mehr als 92 Jahren… Chagalls Arbeit wurde nach seinem Tod behutsam ergänzt von Charles Marc, dem Seniorchef des Glas-Ateliers Jacques Simon in Reims.

Glasfenster von Charles Marc im südlichen Querhaus

Die Kriegsbeschädigungen von St. Stephan sind im Kreuzgang auch ablesbar an der aus dem Glockenturm gefallenen Glocke, so Prof. Lehnardt abschließend. Eigentlich wollte der Jude Marc Chagall seine Kunst ja nicht ins Täterland Deutschland bringen, aber schließlich hat er sich umstimmen lassen und man findet hier – so wie in Zürich, Metz, Reims, Sarrebourg, Jerusalem und wenigen anderen Orten – ganz besondere Glasfenster aus seiner Hand. Mit seiner besonderen Sicht auf biblische bzw. Tora-Texte öffnet er vielen Menschen einen Weg zur Botschaft Gottes vom Frieden und vom ewigen Bund mit den Menschen, symbolisiert durch den Regenbogen über der Arche von Noah.

Detail im östlichen Kreuzgang: Freundschaft zwischen Juden und Christen

Im Kreuzgang hörten wir zum Abschluss noch einmal Rudolf Guckelsberger, diesmal mit Texten aus Martin Bubers Bibelübersetzung (Buber war ein Zeitgenosse Chagalls), unter anderem mit dem Schma Israel (5. Mose / Deuteronomium 6, 4-9 sowie Josua 1,8): Höre Jissrael: ER unser Gott, ER Einer! Liebe denn IHN deinen Gott mit all deinem Herzen, mit all deiner Seele, mit all deiner Macht. Es seien diese Reden, die ich heuttags dir gebiete, auf deinem Herzen, einschärfe sie deinen Söhnen, rede davon, wann du sitzest in deinem Haus und wann du gehst auf den Weg, wann du dich legst und wann du dich erhebst, knote sie zu einem Zeichen an deine Hand, sie seien zu Gebind zwischen deinen Augen, schreibe sie an die Pfosten deines Hauses und in deine Tore! Nicht weiche dieses Buch der Weisung aus deinem Mund, murmle darin tages und nachts, damit dus wahrest, zu tun nach allem, was darin geschrieben ist, – alsdann machst du deine Wege gelingen, dann ergreifst dus.

Lesung aus der Martin Buber – Übersetzung im Kreuzgang von St. Stephan

Zum Paradiesbild hörten wir folgenden Text (Genesis / 1. Mose 2, 18-25): ER, Gott, sprach: Nicht gut ist, daß der Mensch allein sei, ich will ihm eine Hilfe machen, ihm Gegenpart. ER, Gott, bildete aus dem Acker alles Lebendige des Feldes und allen Vogel des Himmels und brachte sie zum Menschen, zu sehn wie er ihnen rufe, und wie alles der Mensch einem rufe, als einem lebenden Wesen, das sei sein Name. Der Mensch rief mit Namen allem Herdentier und dem Vogel des Himmels und allem Wildlebenden des Feldes. Aber für einen Menschen erfand sich keine Hilfe, ihm Gegenpart. ER senkte auf den Menschen Betäubung, daß er entschlief, und nahm von seinen Rippen eine und schloß Fleisch an ihre Stelle. ER, Gott, baute die Rippe, die er vom Menschen nahm, zu einem Weibe und brachte es zum Menschen. Der Mensch sprach: Diesmal ist sies! Bein von meinem Gebein, Fleisch von meinem Fleisch! Die sei gerufen Ischa, Weib, denn von Isch, vom Mann, ist die genommen. Darum läßt ein Mann seinen Vater und seine Mutter und haftet seinem Weibe an, und sie werden zu Einem Fleisch. Die beiden aber, der Mensch und sein Weib, waren nackt, und sie schämten sich nicht.

Wir bedanken uns herzlich bei allen Teilnehmenden und insbesondere bei den Mitwirkenden für den schönen Tag und freuen uns auf weitere gemeinsame Exkursionen!

Herbert Pötzsch, früherer 1. Vorsitzender unseres Vereins, hat uns dankenswerter Weise eine mit Musik und eigenen Texten unterlegte Diaschau als Video zur Verfügung gestellt, in der noch viele weitere Bilder, insbesondere von der neuen Synagoge Mainz sowie bezaubernde Aufnahmen von den Chagall-Fenstern aus St. Stephan in Mainz zu sehen sind. Viel Freude damit!

Video von Herbert Pötzsch